31. August 2019: Alleine und an einem Tag über den Watzmann (2713m)
Im Alter von 52 Jahren wollte ich endlich die Überschreitung des kompletten Watzmanngrats angehen. Seit 32 Jahren sitzt diese Idee in meinem Kopf. Ich war zwar schon einige Male am Hocheck und 2014 mit meiner Tochter auf der Mittelspitze. Aber die ganz große Nummer hat sich bislang nicht ergeben. Mein Fokus lag zu sehr auf dem Radfahren. Die Grundausdauer für die Tour am Stück, also an einem Tag, sollte vorhanden sein. Allerdings war ich bei weitem nicht mehr so in Form wie noch vor 2 Jahren. Ich dachte mir, schau mal wie weit du kommst. Auf jeden Fall hatte ich auch ein Klettersteig-Set dabei.
Die Anreise verlief schon mal nicht optimal. Ich fuhr am Tag vorher, einem Freitag, nach Feierabend Richtung Ramsau. Leider geriet ich kurz vor der Ausfahrt in eine Totalsperre auf der A8. So kam ich erst um 24 Uhr in der Nacht am Parkplatz an der Wimbachbrücke an. Ich zog einen Parkschein für 2 Tage und übernachtete im Wohnmobil. Übernachten ist natürlich übertrieben, weil ich bereits um 3 Uhr aufstand. Bereits um 3:45 Uhr marschierte ich mit Stöcken und Stirnlampe los. Das taten auch noch andere, einige sogar noch früher. Es war ungewöhnlich warm mit 16 Grad um diese Zeit, sodass ich Weste und Armlinge bereits auf dem Weg zu Stubenalm ausziehen musste. Zum Watzmannhaus war ich ca. 2h unterwegs. Dort gönnte ich mir einen zweiten Kaffee. Nach ca. 30 Minuten ging ich mit vielen anderen von der Hütte im Gänsemarsch zum Hocheck, das nach 1:30 h erreicht wurde. Bis jetzt war ich ziemlich flott unterwegs. Hoffentlich sollte sich das nicht rächen. Ich hatte zwar keinen Appetit, musste jetzt aber unbedingt etwas essen. Ich legte das KS-Set an und begab mich auf das Holzpodest am Anfang des Grats. Es packten mich einige Zweifel, ob ich tatsächlich über den Grat alleine klettern sollte. Wann, wenn nicht heute? Also wie immer: Einfach mal anfangen. Umkehren ist bis zur Mittelspitze noch möglich. Seit meiner Tour auf die Mittelspitze vor 5 Jahren wurden zwischenzeitlich 150m Stahlseil und 50 Haken entfernt, um unerfahrene Bergsteiger abzuschrecken (es soll schon mehr als 100 Todesopfer am Watzmann gegeben haben). Das macht sich gleich beim Einstieg bemerkbar: Über die schmalste Stelle sind die Eisenpfosten noch vorhanden. Doch gleich danach wurde etliches Seil abmontiert. Das ist dort nicht allzu tragisch, wenn man sich seiner Tritte sicher ist. Bis zur Mittelspitze benötigte ich ca. 1:30h. Ich war sehr vorsichtig war und ließ immer wieder schnellere Gruppen passieren. Und ich wollte jetzt möglichst viele Körner schonen. Am Gipfel der Mittelspitze machte ich eine kurze Rast. Ich fühlte mich gut, also entschied ich mich, es jetzt durchzuziehen. Nach der Mittelspitze ist der Weg zurück nicht mehr sinnvoll. Ab da heißt es nur noch: Nach vorne immer, rückwärts nimmer! Und es geht auch gleich richtig zur Sache. Es folgt ein sehr ausgesetzter Abstieg in der Ostflanke des Watzmanns. Dann kommt auch schon die erste Schlüsselstelle: Man kommt nach einer Rinne, die man absteigt, an einen Felsen, den man in einem Links-Schwung luftig abklettern muss. Die Panorama ist gewaltig, die Tiefblicke ins Wimbachgries und zum Königsee atemberaubend schön. Der Weg ist meist gut markiert. Trotzdem muss man schauen, dass man die Markierungen nicht aus den Augen verliert. Oft verläuft der Steig in der Westflanke des Watzmanns und man muss das richtige Band erwischen. Oben am Grat nach einem Aufstieg aus der Westseite war ich kurz am Verzweifeln, weil ich keine Markierung mehr erspähen konnte. Ich ging zurück bis zur letzten, aber landete immer wieder an der Stelle, wo ich nicht weiterkam. Ich wartete bis jemand kam. Er kannte wohl den Weg und ich schloss mich ihm an. Da war doch tatsächlich eine sehr verblasste Markierung (könnte man mal nachmalen!). Es folgten viele schöne Passagen auf Bändern, vor allem in der Westseite. Dann wechselt man kurz vor der letzten Schlüsselstelle in die gewaltige Ostwand. Obwohl man sich von oben kein Weiterkommen vorstellen kann, so ist es doch immer wieder verblüffend, wie genial die Steigbauer die Wegführung durch die West- und Ostseite und auf dem schmalen Grat gelegt haben. Die Schlüsselstelle ist eine verdammt schmale Stelle direkt am Grat. Man muss hier ca. 100m sehr luftig über der Ostwand zur Linken und der Westwand zur Rechten am Seil überwinden. Mir reichte ein Kabiner zur Sicherheit, denn es gibt in der Ostseite gute Trittmöglichkeiten. Danach geht es nochmal in die Westseite und in einem steilen letzten Aufschwung zur Südspitze. Diese bietet unerwartet viel Platz. Ich war sehr glücklich, es bis hierher alleine geschafft zu haben. Es war erst 10 Uhr. Also war ich bis hier 6:15h unterwegs. Ich machte eine ausgedehnte Pause und genoss das Panorama: Hochkalter, Königsee, Steinernes Meer – Wahnsinn! Vor dem Abstieg hatte ich Respekt, aber keine Angst. Man liest viel. Unfälle – auch tödliche, Erschöpfung, Bergrettung. Ich nahm mir vor, äußerste Vorsicht walten zu lassen. Es geht auch gleich richtig zur Sache. Technisch nicht sehr schwierig. Aber der Untergrund ist bröselig, rutschig und man muss aufpassen, wo man hintritt und dass von oben keine losen Brocken auf einen stürzen. Die Felspassage im oberen Drittel ist seeehr steil und manchmal seilversichert. Im oberen Schönfeld muss man höllisch aufpassen, dass man nicht wegrutscht und unsanft auf dem Hosenboden landet. Das passierte mir einmal und ich schlug mir das Handgelenk auf. Ich nutzte jetzt die Stöcke und fuhr quasi wie Skifahrer durch das grobe Geröll. Danach kommt wieder eine seilversicherte Steilstufe und man ist am unteren Schönfeld. Auch hier muss man aufpassen, dass man nicht wegrutscht. Wenn man es drauf hat, kann man direkt hinunter “surfen”. Jetzt gelangt man an die erste Wasserstelle nach dem Watzmannhaus. Mir taten die Füße weh und ich kühlte sie ein wenig im Bach. Es war jetzt ca. 12 Uhr, ich war also von der Südspitze bis hierher schon 2h unterwegs. Das ist echt lahm! Aber mir war Vorsicht wichtiger als Geschwindigkeit. Die nächste Steilstufe war die Hölle. In einem Graben geht es senkrecht hinab. Dann folgt eine ausgesetzte Querung. Jetzt machte sich so langsam, aber sicher die Anstrengung bemerkbar. Ich aß noch etwas und dann folgte die erste Kette. In meiner Verfassung war das schon eine Herausforderung, das Ding abzuklettern, mit Stöcken in den Händen. Es folgte eine weitere Querung und dann die zweite Kette, die der ersten in nichts nachstand. Die Glieder sind so fett, dass man sie schwer greifen kann, das Gelände sacksteil und der Untergrund nur rutschig. Ich hab die Stöcke runtergeworfen und bin hinterher geklettert. Selbst der Ausstieg verzeiht keinen Fehler. Um 13:45 Uhr war ich endlich im Wimbachgries, nach insgesamt 10 h (mit Pausen) von der Wimbachbrücke. Ich jubelte, dass ich es tatsächlich geschafft hatte. Für den Abstieg von der Südspitze habe ich ca. 3h+ benötigt. Man darf beim Abstieg keine Sekunde unkonzentriert sein. Ich habe allerdings Trailrunner das Teil runter “rennen” sehen. Wahnsinn. By the way: Anton Palzer, der jetzt Radprofi bei Bora-Hansgrohe ist, hat für die komplette Überquerung von und zum Parkplatz Wimbachbrücke 2:47 h benötigt – da war ich noch nicht mal am Hocheck 😉 . In der Wimbachgrieshütte gönnte ich mir ein Speckbrot und ein Radler. Danach musste ich noch gute 8km bis zur Wimbachbrücke wandern. Dabei kam mir einer der Huber-Buam entgegen, was ich jedoch nur freudig zur Kenntnis nahm. Nach 14 Stunden, 22km, 2300 HM berghoch und wieder runter und Gratkletterei war ich für heute restlos bedient, aber auch unheimlich stolz und glücklich!
Die Überschreitung des Watzmanns ist eine grandiose Bergtour. Alleine und an einem Tag mental und physisch eine absolut hammerharte Herausforderung. Mal sehen, ob ich das nochmal machen werde (s. 2021)